Urheberrecht für Schriften und Mythos Schriftsoftware
Eine kritische Anmerkung von Wolfgang Beinert zum Thema Urheberrecht für Schriften und dem Mythos Schriftsoftware.
Lobbyismus in der Typografie
Lobbyismus bezeichnet die gezielte Einflussnahme auf politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Entscheidungsprozesse durch organisierte Interessengruppen. Auch im Bereich der Typografie existieren Strukturen, die wirtschaftliche Interessen bestimmter Akteure fördern und dadurch den Markt sowie die Wahrnehmung typografischer Standards negativ beeinflussen.
Seit Jahren bemühen sich Anbieter von Computer Fonts – insbesondere US-amerikanische Schriftenhändler –, durch intensive PR- und Lobbyarbeit den Eindruck zu erwecken, dass Schriften kraft Gesetz durch Urheberrechte oder sonstige Persönlichkeits- oder Leistungsschutzrechte, ähnlich wie Musik oder bildende Kunst, geschützt seien. Zudem wird behauptet, dass es sich bei Fonts um »Software« handele. Beides sind irreführende Fake News, die von Lobbyisten gezielt verbreitet werden.
Einfluss der Schriftanbieter
Ein Großteil des weltweiten Marktes für digitale Schriftarten wird von wenigen großen US-Unternehmen dominiert, die durch gezielte Marketingstrategien, Partnerschaften mit Softwareherstellern und Einflussnahme auf Design-Richtlinien ihre Marktstellung sichern. Diese Unternehmen setzen verschiedene Mechanismen ein, um ihre Interessen durchzusetzen:
- Standards und Normierung
Große Schriftanbieter haben Einfluss auf typografische Standards und Normen, etwa durch Mitarbeit in Gremien wie der International Organization for Standardization (ISO) oder durch direkte Kooperation mit Betriebssystem- und Softwareherstellern. - Marktregulierung und Lizenzmodelle
Die Verbreitung komplexer Lizenzmodelle führt dazu, dass Nutzer:innen oft in langfristige Abhängigkeiten geraten. Einige Lizenzen schränken die Verwendung von Schriftarten erheblich ein und machen sie für unabhängige Designer:innen unattraktiv. - Beeinflussung der Fachöffentlichkeit
Bestimmte Plattformen, die sich als neutrale Informationsquellen ausgeben, sind eng mit Schriftanbietern verbunden und dienen faktisch als Marketinginstrumente. Inhalte werden häufig unkritisch zugunsten kommerzieller Interessen gestaltet, ohne dies offenzulegen.
Auswirkungen auf unabhängige Typograf:innen
Freiberufliche Schriftgestalter:innen und kleinere Foundries stehen unter zunehmendem Druck. Während große Anbieter ihre Produkte über umfangreiche Distributionsnetzwerke vertreiben können, sind unabhängige Akteure auf Nischenmärkte angewiesen. Einige problematische Entwicklungen umfassen:
- Monopolisierungstendenzen
Die Konsolidierung des Marktes führt dazu, dass große Anbieter kleinere Wettbewerber verdrängen oder aufkaufen. - Eingeschränkte Sichtbarkeit
Plattformen, Events und Publikationen, die maßgeblich von großen Anbietern finanziert werden, gewähren unabhängigen Typograf:innen oft nur begrenzten Zugang zu Reichweite und Sichtbarkeit. - Erosion traditioneller typografischer Werte
Der Fokus auf Massenvermarktung und rein wirtschaftlich optimierte Schriftlizenzen führt zur Vernachlässigung gestalterischer Qualität und typografischer Vielfalt.
Rechtliche Aspekte und Regulierung
Verschiedene juristische Rahmenbedingungen beeinflussen die Mechanismen des typografischen Marktes. Dabei spielen insbesondere folgende Regelungen eine Rolle:
- Kartellrecht
Wettbewerbsbehörden prüfen in bestimmten Fällen, ob marktbeherrschende Unternehmen ihre Stellung missbräuchlich ausnutzen. Beispielsweise hat die Europäische Kommission in der Vergangenheit Verfahren gegen große Softwareanbieter eingeleitet, die ähnliche Marktstrukturen betreffen. - Urheberrecht und Lizenzrecht
Die Definition und Durchsetzung von Schriftlizenzen bleibt umstritten, insbesondere in Bezug auf die Abgrenzung zwischen urheberrechtlich geschützten Werken und allgemeinen Designprinzipien.
Fazit
Der Lobbyismus in der Typografie ist für viele ein weitgehend unbekanntes Thema. Während große Schriftanbieter ihre Marktstellung durch strategische Einflussnahme sichern, kämpfen unabhängige Typograf:innen mit strukturellen Nachteilen. Eine differenzierte Betrachtung der wirtschaftlichen, rechtlichen und gestalterischen Auswirkungen ist notwendiger denn je, um ein Gleichgewicht zwischen kommerziellen Interessen und typografischer Kultur zu bewahren.
Subjektive Einschätzung
Der Flurschaden, den einige Creativ-Tech- und IT-Unternehmen zugunsten ihres Gewinnstrebens angerichtet haben, ist inzwischen unübersehbar: prekäre Lebensverhältnisse für Schriftgestalter:innen einerseits, ein Oligopol einiger weniger großer Unternehmen andererseits, keinerlei Schriftinnovation, verunsicherte User, Webfonts, die die halbe Welt tracken, unzählige miserable Adaptionen und abertausende Schriftremakes und Schriftklone im Abonnement mit neuen Namen und frecherweise mit einem Copyright-Zeichen versehen, die im Grunde nichts anderes als Kopien von Kopien von Kopien sind.
Schriftgestaltung ist ein Handwerk – so sahen es zumindest renommierte Schriftgestalter wie Paul Helmuth Rädisch, Louis Hoell, Jan Tschichold oder Günter Gerhard Lange. Die Gestaltung von Werksatzschriften (Gebrauchsschriften, Brotschriften, Textschriften) ist kein schöpferischer Akt, der durch das UrhG geschützt werden müsste. Denn Werksatzschriften haben nur eine sehr geringe Schöpfungshöhe; Ihnen fehlt das Mindestmaß an Individualität und Kreativität, das für den urheberrechtlichen Schutz erforderlich wäre. Schließlich ist die Kopie eins jahrhundertealten Buchstabes kein Mars-Rover und auch kein Cézanne.
Und machen wir uns ehrlich: Einmal abgesehen von der geradezu babylonischen Schriftenvielfalt stagniert die Schriftgestaltung seit Jahrzehnten substantiell. Der Schriftbestand der früheren Jahrhunderte wird nur verwaltet, wiederverwertet, monetär ausgebeutet oder ideologisch und rechtlich vereinnahmt.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de