Schriftremake
In der Typografie bezeichnet ein »Schriftremake« die Nachbildung einer bereits existierenden, aber nicht mehr am Markt verfügbaren Druck- oder Bildschirmschrift (Screen Font), die sich mehr oder weniger streng am Original orientiert, jedoch nicht vom ursprünglichen Schriftgestalter:in stammt. Kurzform: »Remake«.
Im gewerbespezifischen Sprachgebrauch deutschsprachiger Schriftsetzer, Schriftgießer und Drucker aus der Epoche des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung) wurde ein vergleichbarer Vorgang als »Nachschnitt« bezeichnet. In der typografischen Fachliteratur wird mitunter auch der Begriff »Neuinterpretation« verwendet.
Ein Schriftremake kann von einer beliebigen Person oder einer künstlichen Intelligenz (KI) stammen. Die erneute Gestaltung einer bereits existierenden Schrift durch den ursprünglichen Schriftgestalter:in (Type Designer) wird hingegen als »Schriftreplik« (Kurzform: »Replik«) bezeichnet.

Wenn eine Schrift nicht vom ursprünglichen Type Designer nachgebildet oder interpretiert, sondern von einer anderen Person oder einer KI neu gestaltet wird, spricht man – neben dem Begriff »Schriftremake« je nach Kontext – auch von einem »Schriftklon« (1:1-Kopie einer Schrift), einer »Schriftformvariante« (abweichende Interpretation einer bereits existierenden Schrift), einer »Schriftmischform« (hybride Schriftform, meist aus unterschiedlichen Schriftuntergruppen und/oder Schriftnebengruppen) oder von »Schriftgenerierung« (z.B. am Computer rechnerisch generierte Schriftschnitte oder parametrische Schriften wie Variable Fonts). Allerdings sind die Unterschiede für Laien meist kaum erkennbar, und selbst für typografisches Fachpersonal besteht diesbezüglich ein hoher Interpretationsspielraum.
Etymologie
Etymologisch stammt das Wort »Schrift« aus dem ahd. »scrift«, was so viel wie »das Schreiben« oder »die Schrift« bedeutet. Es ist verwandt mit dem mhd. »scripte« und hat letztlich seine Wurzeln im lat. «scriptum«, was »das Geschriebene« oder »die Schrift« bedeutet (von »scribere» für »schreiben«).
Der Begriff »Remake« ist eine Rückbildung aus dem eng. Verb »to remake«, das »wiederherstellen« oder »neu gestalten« bedeutet. Es setzt sich zusammen aus dem Präfix »re-« (wieder, zurück) und dem Verb »make« (machen, erstellen).
Schriftremakes im historischen Kontext
Da Schrift seit Jahrtausenden und Druckschriften seit Jahrhunderten zum kulturellen Erbe der Menschheit zählen (siehe Schriftgeschichte), basieren viele der heute verwendeten Schriften streng genommen auf Schriftremakes, Schriftklonen, Formvarianten, Mischformen und Schriftgenerierungen, die sich an jahrhundertealter Typometrie orientieren.
Die formale Ähnlichkeit in der Letternarchitektur stellt dabei kein Mangel dar, sondern ist eine inhärente Eigenschaft der Schriftgestaltung (Type Design). Aufgrund der geringen Schöpfungshöhe – dem Mindestmaß an Individualität und Kreativität, das für den urheberrechtlichen Schutz erforderlich ist – sind insbesondere Textschriften (Werksatzschriften) im Sinne des Urheberrechts weltweit in der Regel nicht schutzfähig.
Seit den 1990er Jahren wurde die Schriftgeschichte weitgehend digitalisiert und auf vielfältige Weise bearbeitet. Anbieter von Computer Fonts führen heute häufig zigtausende verschiedene Schriftremakes, Schriftklone, Formvarianten, Mischformen und Schriftgenerierungen von Schriften zahlreicher Schriftgestalter:innen aus allen Jahrhunderten. Dazu gehören auch Nachbildungen von Schriften längst erloschener Schriftgießereien, wie der Hermann Berthold GmbH oder des VEB Typoart Dresden.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de