Kalligraphie
»Kalligraphie« ist die Kunst des Schönschreibens. Etymologisch leitet sich das Wort »Kalli-« vom altgriechischen »kalós« (καλός) her, das »schön« bedeutet; das Wort »-graphie« entspricht dem altgriechischen »-graphía« (γραφία) für »Schreiben, Darstellen, Beschreiben«, abgeleitet von »gráphein« (γράφειν) für »ritzen, schreiben«. Allograph: Kalligrafie.
![Kalligraphie um 1538, mutmaßlich vom Nürnberger Kalligraphen und Mathematiker Johann Neudörf(f)er (1497–1563). Schriftprobenvergleich mit Neudörffers »Ein gute Ordnung, vnd kurtze vnterricht, der fürnemsten grunde aus denen die Jungen, Zierlichs schreybens begirlich, mit besonderer kunst vnd behendigkeyt vnterricht vnd geübt möge[n] werden«. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek, München. Kalligraphie um 1538, mutmaßlich vom Nürnberger Kalligraphen und Mathematiker Johann Neudörf(f)er (1497–1563). Schriftprobenvergleich mit Neudörffers »Ein gute Ordnung, vnd kurtze vnterricht, der fürnemsten grunde aus denen die Jungen, Zierlichs schreybens begirlich, mit besonderer kunst vnd behendigkeyt vnterricht vnd geübt möge(n) werden«. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek, München.](https://www.typolexikon.de/wp-content/uploads/2016/07/kalligraphie.jpg)
Die Kalligraphie bzw. die Handschriftlichkeit prägte im Wesentlichen unsere gesamte, rund 7.500jährige Schriftgeschichte. Die Mehrheit aller westeuropäischen Druckschriften bzw. Screen-Schriften (Bildschirmschriften) basiert auf einer kalligraphischen Formgebung, deren Lettern- und Zeichenarchitektur maßgeblich durch die jeweilige Schreibtechnologie, also durch Schreibwerkzeuge, Schreibflüssigkeiten und Trägermaterialien bestimmt wurde. Europäische Handschriften von der Antike bis zur Renaissance werden in der Historischen Hilfswissenschaft Paläografie erforscht.
Als Schreibwerkzeuge dienen dem Kalligraph:in bis heute überwiegend pflanzliche Rohrfedern (z.B. Bambusfeder), Federkiele (z.B. Gänsekiel), Pinsel, Stahlfedern (z.B. Bandzugfeder, Spitzfeder, Redisfeder, Doppel-Strich-Feder, Notenlinienfeder), Stifte (z.B. Bleistifte, Kreidestifte) und Füllfederhalter. Als Trägermaterial bzw. Beschreibstoffe werden seit der Römerzeit mehrheitlich Papyrus, Pergament und Papier bevorzugt.
Schreibflüssigkeiten sind Tinten, Tuschen und Temperafarben, die bis zur industriellen Chemie manuell aus Pflanzen (z.B. Moosflechten für Grün, Gummiarabikum als Bindemittel, Nelkenöl zur Konservierung, gallierte Eichenblätter als Gerbsäure), Steinen (z.B. Lapislazuli für Blau) und Tieren (z.B. Purpurschnecke für Purpurrot, Tintenfisch für Sepia) hergestellt wurden.
Die Gotik stellt in paläographischer Hinsicht sicherlich die reichste Epoche der Kalligraphie dar. Die Textura, die zu den Gebrochenen Schriften zählt, gilt als die höchstentwickelte westeuropäische kalligraphische Hauptbuchschrift der Gotik. Sie war auch der Prototyp der ersten Wiegendrucke Johannes Gutenbergs, so auch für seine 42-zeilige Bibel (1452–1454), die zu den schönsten und wertvollsten Inkunabeln gehört.
Heute spielt die Kalligraphie im Materialisieren von Sprache und Gedanken keine nennenswerte Rolle mehr. Sie findet in geringem Umfang nur noch privat, in der Kunst und im Grafikdesign 1) Anwendung, beispielsweise bei der Entwicklung von Wortbildmarken oder bei der Beschriftung von Urkunden. Selbst in der Schriftgestaltung wurde sie durch den Einsatz digitaler Schriftentwicklungssoftware, beispielsweise Fontographer®, nahezu vollständig verdrängt. 2) 3) 4) 5) 6) 7)
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Tipp: Digitale Schreibschriften werden häufig für Speisekarten, Einladungen etc. verwendet. Während echte Handschriften als persönlicher und verbindlicher wahrgenommen werden, wirken digitale Schreibschriften oft künstlich. Ihr Einsatz erfordert typografisches Feingefühl, da eine unüberlegte Verwendung schnell als unnatürlich oder stilistisch unangemessen empfunden werden kann. Eine handschriftliche Kalligraphie kann in bestimmten Fällen die hochwertigere Alternative sein. |
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| ↑2 | Literaturempfehlung: Mazal, Otto: Paläographie und Paläotypie. Zur Geschichte der Schrift im Zeitalter der Inkunabeln, Verlag Anton Hiersemann, Stuttgart 1984. |
| ↑3 | Literaturempfehlung: Mazal, Otto: Lehrbuch der Handschriftenkunde, Reichert, Wiesbaden 1986. |
| ↑4 | Literaturempfehlung: Delitsch, Hermann: Geschichte der abendländischen Schreibschriftformen, Leipzig 1928. |
| ↑5 | Literaturempfehlung: Foerster, Hans: Abriß der lateinischen Paläographie, Verlag Haupt, Bern 1949; Nachdruck Stuttgart 1981. |
| ↑6 | Literaturempfehlung: Tschichold, Jan: Meisterbuch der Schrift, Otto Maier Verlag, Ravensburg 1952 und Folgejahre, ISBN-10: 3-473-61100-x oder ISBN-13: 978-3473611003. |
| ↑7 | Literaturempfehlung: Pott, Gottfried: Schreiben mit Hand und Herz, Kalligrafische Erfahrungen, Verlag Hermann Schmidt, Mainz, ISBN 978-3-87439-886-2. |