Englische Typografie
»Englische Typografie«, auch als angelsächsische Typografie bezeichnet, ist ein Begriff aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz deutscher, österreichischer und Schweizer Typografen von Mitte des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts für die von Antiqua-Schriften (Serif) geprägte Typografie im Sinne von John Baskerville (1706–1775), William Morris (1834–1896), Thomas James Cobden-Sanderson (1840–1922), Stanley Morison (1889–1967), Oliver Joseph Simon (1895–1956) und Eric Gill (1882–1940). Zu den ersten prominenten Vertretern der Englischen Typografie im deutschsprachigen Raum zählen u.a. die Typografen Jan Tschichold (1902–1974) und Max Caflisch (1916–2004).
Die Bezeichnung Englische Typografie ist im deutschsprachigen Raum im Kontrast zur »Deutschen Typografie« zu verstehen, die seit Johannes Gutenberg (um 1400–1468) bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mehrheitlich von der Fraktur bzw. Gebrochenen Schriften geprägt war. 1)
Die Englische Typografie entwickelte sich aus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, insbesondere durch John Baskerville, der mit seinen klassizistischen Antiquaschriften, neuartigen Drucktechniken und rationalen Satzbildern eine neue Ästhetik begründete. Seine Schriften zeichneten sich durch starke Kontraste, elegante Proportionen und eine klare vertikale Achse aus. Sie markierten den Übergang von der Vorklassizistischen Antiqua – in Deutschland und Österreich auch als Barock-Antiqua bezeichnet – zur Klassizistischen Antiqua.
Im 19. Jahrhundert fand eine bewusste Rückbesinnung auf vormoderne Buchkunst statt, maßgeblich durch das Arts and Crafts Movement unter William Morris. Morris’ Kelmscott Press (gegr. 1891) setzte auf historische Schriften, handwerkliche Herstellung und harmonische Buchgestaltung. Seine typografischen Ideale prägten die sogenannte Private Press-Bewegung, zu der auch die Doves Press und Ashendene Press zählten. Diese strebten eine »reine Typografie« an, die sich durch formale Disziplin, eine reduzierte Ornamentik und typografische Klarheit auszeichnete.

Ein bedeutendes Forum dieser Entwicklung war die Zeitschrift »The Fleuron. A Journal of Typography« (1923–1930), herausgegeben von Stanley Morison und Oliver Simon. Die Publikation bot typografischen Theorien, historischen Schriftvergleichen und innovativen Gestaltungsansätzen eine Plattform. Morison, der auch als Berater der Monotype Corporation tätig war, leitete die Wiederbelebung klassischer Antiquaschriften ein, etwa mit den Reprints von »Bembo«, »Garamond«, »Poliphilus«. Unter seiner Leitung entstand 1932 die »Times New Roman«, eine Schrift, die Rationalität und gute Lesbarkeit in kompakten Räumen vereint.
Eric Gill wiederum verband als Schriftgestalter (»Gill Sans«, »Perpetua«), Buchkünstler und Theoretiker typografisches Handwerk mit einem spirituell motivierten Humanismus. In seiner Schrift »An Essay on Typography« (1931) verband er ethische und praktische Überlegungen zur Typografie.
Die »Englische Typografie« wirkte stilbildend im deutschsprachigen Raum, insbesondere bei Reformtypografen wie Jan Tschichold. Dieser wandte sich nach seiner Phase der »Neuen Typografie« (ab 1928) ab 1933 einer klassizistisch geprägten Typografie zu, die sich an den Maßstäben von Morison, Gill und der Buchkunstbewegung orientierte. Auch Max Caflisch übernahm viele ihrer Prinzipien für seine typografischen Lehren und Werke.
Didaktisch beeinflusste die Englische Typografie zahlreiche typografische Theorien und Handbücher des 20. Jahrhunderts. Werke wie Morisons »First Principles of Typography« (1930), 2) Gills »An Essay on Typography« (1931), oder die in England breit rezipierte Schriftgeschichte von Daniel B. Updike »Printing Types: Their History, Forms and Use« (1922) 3) gelten als grundlegende Texte der angelsächsischen Typografie. 4)
Die Englische Typografie übte nicht nur im Vereinigten Königreich Wirkung aus, sondern prägte auch die US-amerikanische Buchgestaltung, die skandinavische Typografie sowie die akademische Typografie im Raum Mitteleuropa. Ihre Prinzipien – Rationalität, Maß, Lesbarkeit, typografische Selbstdisziplin – wirken bis heute in zahlreichen Gestaltungsbereichen fort, insbesondere im Editorial Design und der typografischen Buchgestaltung. 5) 6) 7) 8)
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Anmerkung: Die Fraktur wurde durch ein Schriftverdikt der NSDAP am 3. Januar 1941 verboten. Siehe Fraktur. |
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| ↑2 | Literaturempfehlung: Morison, Stanley: First Principles of Typography. Cambridge University Press, 1930 (Nachdruck 1967: ISBN-10: 052105768X, ISBN-13: 978-0521057684. |
| ↑3 | Literaturempfehlung: Updike, Daniel B.: Printing Types: Their History, Forms and Use. Harvard University Press, 1922, (Nachdruck von 1966: ISBN 9780674503892). |
| ↑4 | Anmerkung: Die Bezeichnung »angelsächsisch« beschreibt ursprünglich die ethnisch-kulturelle Herkunft der Bevölkerung Englands seit dem frühen Mittelalter. Er setzt sich zusammen aus den germanischen Stämmen der Angeln, Sachsen und Jüten, die ab dem 5. Jahrhundert nach Christus aus dem heutigen Norddeutschland, Schleswig und Dänemark auf die britische Insel übersiedelten und dort allmählich das keltisch-römische Britannien verdrängten. Im erweiterten, kulturhistorischen Sinn wird »angelsächsisch« oft verwendet, um die sprachlichen, kulturellen und institutionellen Prägungen der Länder Großbritanniens und später auch der USA zu beschreiben – insbesondere im Kontrast zu kontinentaleuropäischen oder romanischen Einflüssen. |
| ↑5 | Literaturempfehlung: Burke, Christopher: Active Literature. Jan Tschichold and the New Typography. Hyphen Press, 2007, ISBN 978-0-907259-32-9. |
| ↑6 | Literaturempfehlung: Bringhurst, Robert: The Elements of Typographic Style. Hartley & Marks, 1992, ISBN-10: 0881790338, ISBN-13: 978-0881790337. |
| ↑7 | Literaturempfehlung: Carter, Sebastian (Hg.): Twentieth Century Type Designers. W. W. Norton, 1995, ISBN-10: 0393701999, ISBN-13: 978-0393701999. |
| ↑8 | Literaturempfehlung: Kinross, Robin: Modern Typography. An Essay in Critical History. Hyphen Press, 1992, ISBN 978-0-907259-18-3. |