Durchschießen | Durchschossen
In der Typografie sind die Begriffe »Durchschießen« (einen Schriftsatz durchschießen) bzw. »Durchschossen« (ein durchschossener Schriftsatz) mehrdeutig. Sie werden sowohl im typografischen Schriftsatz als auch in der buchbinderischen Weiterverarbeitung verwendet; alt. Schreibweise »durchschiessen«.
1. Durchschießen und Durchschossen bei Zeilenabständen
Die Begriffe Durchschießen und Durchschossen stammen ursprünglich aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz dspr. Schriftsetzer aus der Periode des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. aus einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung), Holz (z.B. aus Birnenholz) oder Kunststoff (z.B. aus Kunstharz). Sie leiten sich von der Abk. des typografischen Fachbegriffs »Durchschuss« für »Zeilendurchschuss« ab, der in der Terminologie des Hand- und Maschinenschriftsatzes für den nichtgedruckten Zwischenraum zwischen zwei oder mehreren untereinander stehenden Zeilen steht. Durchschießen (Handlung) und Durchschossen (Resultat) bezeichnen das Proportionieren des Zeilendurchschusses bzw. Zeilenabstandes eines Schriftsatzes.

Durchschossener Satz
Ein normaler Durchschuss wird als »Durchschossen« bzw. »Durchschossener Satz« bezeichnet. 1) Werden die Zeilen enger als der normale Zeilendurchschuss gesetzt, spricht man von »Undurchschossen« oder »Kompress«. Werden die Zeilen großzügiger als der normale Durchschuss proportioniert, bezeichnet man dies als »Splendid«.

Durchschießen eines Satzes
Das normale »Durchschießen«, beispielsweise eines glatten Schriftsatzes, kann je nach physischer Drucktype und deren Kegelhöhe (Normalhöhe) unterschiedlich ausfallen, u.a. durch unterschiedliche Schulterflächen, Proportionen des Fleisches und unterschiedliches typographisches Blindmaterial bzw. Füllstücke, z.B. Dünnstege (Regletten).
In der Regel besteht das kompresse Durchschießen aus der reinen Kegelhöhe (also Kegel an Kegel), das normale und splendide Durchschießen aus der Kegelhöhe plus dem »Einraffen« von Blindmaterial. 2)
Das wohlüberlegte Durchschießen eines geschlossenen Satzes beeinflusst maßgeblich den Grauwert und somit die Lesbarkeit des Schriftsatzes. Die Wahl des geeigneten Zeilendurchschusses gehört in das Segment der Mikrotypografie.
In der digitalen Typographie bzw. im DTP Desktop Publishing wird der Terminus »Durchschießen« auch heute noch von Typograf:innen verwendet, was allerdings weniger den technischen Gegebenheiten, sondern eher der Ursache geschuldet ist, die Traditionen des gewerbespezifischen Sprachschatz aufrecht zu erhalten.
2. Durchschossenes Buchexemplar
Der Begriff »Durchschossen« wird auch im gewerbespezifischen Sprachschatz deutscher Buchhersteller und Buchbinder verwendet. Allerdings steht er hier für das Einbinden eines leeren Blattes nach jeder bedruckten Buchseite, um auf der gegenüberliegenden Seite Notizen auf einem Vakat zu ermöglichen. Ein derartiges Buchexemplar wird als »Durchschossenes Exemplar« bezeichnet.
Durchschossene Buchexemplare werden in der Regel von Autor:innen verwendet, die ihr Werk für eine Neuauflage überarbeiten. Allerdings ist diese Verfahrensweise der Korrektur durch den Einsatz von Computern nahezu verschwunden.
Durchschossene Exemplare von Büchern oder buchähnlichen Produktionen mit den Notizen einer Autor:in bzw. einer prominenten Persönlichkeit sind in der Wissenschaft sowie bei Sammler:innen sehr begehrt.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Tipp: Als Faustregel für einen durchschossenen ZAB gilt: Der optimale Durchschuss hat mindestens die Majuskelhöhe, bestenfalls die hp-Höhe des verwendeten Schriftgrades. |
|---|---|
| ↑2 | Literaturempfehlung: Bosshard, Hans Rudolf: Technische Grundlagen zur Satzherstellung, Bildungsverband Schweizer Typografen, Bern, 1980, ISBN: 3855840105 und 3-85584-010-5. |