Segment der angewandten Typografie, auch als »Detailtypografie« bezeichnet. Im Gegensatz zur Makrotypografie beschreibt die Mikrotypografie die Schrift und ihre Anwendung selbst. Mikrotypografie umfasst sowohl die fundierte Interpretation der Typometrie von Buchstaben, Ziffern und Zeichen, als auch deren ins Detail gehende Anwendung im Schriftsatz (Feinsatz).
Etymologisch rührt das Präfix »Mikro-« für »sehr klein« von altgr. »mikrós« für »klein, gering, fein« her und »Typo-« von altgr. »typos«, das eigentlich »Schlag, Stoß«, später auch »Eindruck, Muster, Bild« bedeutet, analog zu »typtein« für »schlagen, hauen«, als Ursprung für das lat. »typus«, das dann »Figur, Bild, Muster« meint; das Wort »-graphie« entspricht dem altgr. »-graphia« für das »Schreiben, Darstellen, Beschreiben« zu altgr. »graphein« für »ritzen, schreiben«.
Die makro- und insbesondere die mikrotypografischen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Typografen/in optimieren maßgeblich die Lesbarkeit, die mediendidaktische Qualität und die Ästhetik eines Schriftsatzes, einer Publikation bzw. eines Mediums.
Mikrotypografische Schriftsatzarbeiten setzen sowohl produktionsfähige Drucktypen bzw. Fonts als auch einen in sich schlüssigen und fertigen makrotypografischen Entwurf im Rahmen eines Zwischenlayouts (siehe Layout) voraus.
In der Mikrotypografie werden alle makrotypografischen Parameter evaluiert, konkretisiert, erweitert, korrigiert, optimiert und abschließend produktionsfertig gefinisht. 1) Dazu zählen (alphabetisch sortiert):
Leerraum
Konsultation
- Exponentenzeichen
- Fußnoten
- Fußnotenzeichen
- Hoch- und Tiefstellungen
- Kolumnentitel
- Konsultation
- Konsultationszeichen
- Legenden
- Marginalien
- Paginas
Linien, Einfassungen und Zierrat
- Linien
- Einfassungen
- Zierrat
Ordnungssystem
- Feinabstimmung des Ordnungssystems
- Grauwert
Anpassung des Gestaltungsrasters, Satzspiegels oder Responsive Grid Systems, um den Grauwert einer Seite zu optimieren, z.B. durch Veränderung der Relation von bedruckter bzw. beschriebener zu unbedruckter bzw. unbeschriebener Fläche - Spaltenabstände
Finish der Spaltenabstände - Umbruchsystem
Anpassung des Gestaltungsrasters, Satzspiegels oder Responsive Grid Systems an das Umbruchverhalten der Grundschrift, beispielsweise durch Veränderung der Satzbreite bzw. Spaltenbreite
- Grauwert
Schrift
- Schriftgrade (Final) 2)
- Schriftgradabstimmung von Grund- und Auszeichnungsschriften sowie der Konsultationen
- Wahl der Optischen Größen
- Schriftlaufweiten (LW)
- Normalschriftweiten (NSW)
Evaluierung, Korrektur und Anpassung der Normalschriftweiten - Schriftlaufweitenkorrekturen (LW +/-)
beispielsweise von Majuskelsatz, Kapitälchen oder Mediävalziffern durch Unterschneiden, Spationieren oder Ausmitteln
- Normalschriftweiten (NSW)
- Schriftwahl (Final)
Endgültige Wahl der Schriftschnitte (Schriftstile) in Bezug auf Schriftbreite (z.B. normal), Schriftlage (z.B. kursiv) und Schriftstärke (z.B. halbfett) mit exakter Schriftbezeichnung (z.B. Bauer Bodoni EF Medium Italic), Font Foundry (z.B. Elsner+flake), File Name (z.B. BauerBodoniEFCEOP-MediumSC.otf) und Figurenverzeichnis (z.B. CE, 296 Characters) für die Grundschrift, Auszeichnungsschriften und Akzidenzschriften (siehe Schriftklassifikation) 3)
Schriftzeichen
- Wahl der Arabischen Ziffern und Römische Zahlen
- Bruchziffern
- Majuskelziffern
- Mediävalziffern
- Proportionalziffern
- Römische Zählzeichen
- Tabellenziffern
- Wahl der Satzzeichen
- Gliederungszeichen
- Glyphen
- Initialen
- Interpunktionszeichen
- Ligaturen
- Sonderzeichen
- Horizontalstriche
Umbruch
Wort
- Gliederung von Werten, Gewichten, Maßen, Formeln und Kommunikationsadressen
- Optischer Schriftweitenausgleich (OSW)
- Ausmitteln
- Kerning
- Schriftlaufweite
- Spationieren
- Sperren
- Unterschneiden
Zeile
- Satzbreite
- Zeilenanfang
- Zeilenabstand (ZAB)
- Zeilenanordnung
- Zeilenende
Natürlich gehen Makro- und Mikrotypografie Hand in Hand. Je mehr Wissen und Erfahrung ein Typograf/in hat, desto mehr verschmelzen die Arbeitsschritte beider Segmente ineinander.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:
↑1 | Tipp: Um Opportunitätskosten zu vermeiden, sollte im Segment der Mikrotypografie ohne Ausnahme nur mit endkorrigierten und vom Auftraggeber freigegebenen Texten gearbeitet werden. Denn Korrekturen im Feinsatz kosten enorm viel Zeit und Geld. |
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↑2 | Anmerkung: Der Umgang mit Schriftgraden gehört sowohl in die Makrotypografie als auch in die Mikrotypografie. Im Segment der Makrotypografie wird der Schriftgrad ungefähr festgelegt. Beispielsweise eine Bodoni in 4 mm (= 11,339 Adobe-PostScript-Punkte bei 72 pt/Zoll). In der Mikrotypografie wird dann – nachdem eine spezieller Schriftschnitt einer bestimmten Bodoni ausgewählt wurde, der Schriftgrad der jeweiligen Typometrie angepasst und konkretisiert (»selektiv«), also beispielsweise eine »Bauer Bodoni Roman von Linotype« in 4,5 mm (= 12,756 Adobe-PostScript-Punkte bei 72 pt/Zoll). |
↑3 | Anmerkung: Schrift ist nicht gleich Schrift, auch wenn Schriften auf den ersten Blick ähnlich aussehen können oder vordergründig sogar den gleichen Namen tragen. |
↑4 | Anmerkung: In der Makrotypografie erfolgt die Wahl einer Schriftsatzart, beispielsweise Blocksatz oder Flattersatz. In der Mikrotypografie wählt man dann die Flattersatztechnik, beispielsweise einen »Englischen Flattersatz« oder einen »Handkorrigierten Rauhsatz«. |