Zierrat
»Zierrat« ist ein typografischer Fachausdruck aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz dspr. Schriftsetzer, Schriftgießer und Drucker aus der Periode des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. aus einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung), Holz (z.B. aus Birnenholz) oder Kunststoff (z.B. aus Kunstharz) für dekorative Verzierungen oder Schmuckelemente, die dazu dienen, einen Schriftsatz dekorativ zu gliedern und/oder zu schmücken, beispielsweise mit Schmuckzeichen, Ornamenten oder Linien; typografische Verzierungen; typografische Schmuckelemente. Alternative Schreibweisen in historischen Quellen: »Zierat«, »Typographischer Zierat« und »Acczidenz-Zierat«. 1) 2)
Ursprünglich gehörte der typografische Zierrat zum Buchschmuck 3) und wurde in der Regel bei den Akzidenzschriften aufbewahrt. Dazu zählten beispielsweise Alineas (z.B. Englische Linien), Amoretten (Darstellungen des Liebesgottes Amor), Fleurons (florale Verzierungen), heraldische Symbole (z.B. gemeine Figuren wie Wappentiere oder Fantasiewesen), Rebranken, Vignetten (bildhafte oder abstrakte Schmuckzeichen) 4) oder Voluten (Schneckenformen in der künstlerischen Ornamentik). Auch zählten ehemals dekorative Initialen (z.B. verzierte Anfangsbuchstaben), Schmuckbuchstaben (z.B. Monogramme), Lunetten bzw. Lünetten (halbkreisförmige oder kreissegmentförmig gerahmte Motivfelder), Bordüren (verzierte Einfassungen) und Rahmen dazu. 5)




Eine generelle, übergreifende Klassifikation von Zierrat existierte nicht. Jede Epoche, jede Schriftgießerei und jede Offizin hatte ihr eigenes Klassifikationsmodell, was vermutlich abhängig von der Größe der Buch- und Zeitungsdruckerei bzw. dem Spezialisierungsgrad der jeweiligen Akzidenzsetzerei war.
Zierrat gab es in allen gängigen Kegelgrößen, metrischen Größen, nach Gewicht oder am laufenden Meter. Der ein oder andere Zierrat erhielt – wie auch bei physischen Drucktypen üblich – Mittelnamen. Beispielsweise wurde die Größe eines Schmuckzeichens in ca. 4,5 mm bis 5 mm auch als »Cicero« bezeichnet.
Die grafische Gestaltung von Zierrat passt sich bis heute modischen Strömungen an. Zu den produktivsten Epochen im materiellen Schriftsatz zählen sicherlich der Jugendstil und Historismus bzw. die Gründerzeit.
Heute ist die Vielfalt von Zierrat unüberschaubar. In der aktuellen Schriftklassifikation wird er bei den Bildzeichen (Symbol oder Icon Fonts) oder ggf. bei den Zierschriften eingruppiert. Gegenwärtig zählen zu den prominenten Beispielen vermutlich die »ITC Zapf Dingbats« von Hermann Zapf (1918–2015) oder der Symbol-Font »Wingdings« von Microsoft ®.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Die Herkunft des Wortes liegt im Mittelhochdeutschen, zusammengesetzt aus »Zier« (Dekoration) und »Rat« (Waren, Dinge). |
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| ↑2 | Literaturempfehlung: Walther, Karl Klaus: Lexikon der Buchkunst und Bibliophilie, Verlag: Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1987, ISBN 10: 3323000935 und ISBN 13: 9783323000933. |
| ↑3 | Literaturempfehlung: Gerlach, Martin (Hrsg.): Das Alte Buch und seine Ausstattung vom XV. bis zum XIX. Jahrhundert. Buchdruck, Buchschmuck und Einbände, Verlag Gerlach & Wieldling Wien und Leipzig, 1915/18. Online verfügbar im Internet Archive unter https://archive.org/details/dasaltebuchundse00gerl (11.4.2024). |
| ↑4 | Anmerkungen: In einigen typografischen Lehrbüchern wird darauf hingewiesen, dass Vignetten nicht zum Zierrat zählten (Beispiel: Luidl, Philipp: Typografie, Herkunft, Aufbau, Anwendung. Schlütersche Verlagsanstalt und Druckerei, Hannover, 1984, ISBN 3–87706-212–1, Seite 51). |
| ↑5 | Museumsempfehlung: Stiftung Werkstattmuseum für Druckkunst Leipzig, Nonnenstraße 38, 04229 Leipzig, Informationen online unter https://www.druckkunst-museum.de verfügbar (11.4.2024). |