Mediävalziffern
Typografischer Terminus für die Indo-Arabische Ziffern 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 0 mit variierenden Oberlängen und Unterlängen im Vierliniensystem. Im typometrischen Hauptschriftliniensystem reichen die Mediävalziffern 1, 2 und die 0 von der Grundlinie bis zur x-Linie, die Mediävalziffern 3, 4, 5, 7 und 9 von der p-Linie zur x-Linie und die Mediävalziffern 6 und 8 von der x-Linie zur H-Linie (Majuskelhöhe); auch als Minuskelziffern, Gemeine Ziffern, Charakterziffern oder in seltenen Fällen auch als Nautische Ziffern bezeichnet. Alte Schreibweise »Mediaevalziffern«.
Etymologisch von »mediaeval« für »mittelalterlich« zu lat. »medius« für »mittlere«, »aevum« für »Zeitalter« und arab. »as-sifr«, mlat. »cifra« oder »cephirum«, sphd. »zif(f)er« für Ziffer. Mediävalziffern sind im lateinischen Alphabet die älteste Form der Arabischen Ziffern.


Bis zum Ende des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. aus einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung), Holz (z.B. aus Birnenholz) oder Kunststoff (z.B. aus Kunstharz) unterschied man in der von Antiqua-Schriften geprägten Typografie (z.B. in Großbritannien, den USA oder in Frankreich) die Termini »Mediävalziffer« für die »älteren Ziffern« aus Renaissance-Antiquas sowie Vorklassizistischen Antiquas und »Französische Ziffern« für Ziffern aus Klassizistischen Antiquas.
Diese Differenzierung wurde laut dem Typografen Paul Renner (1878–1956) 1) von der »Deutschen Typografie«, die überwiegend Gebrochene Schriften nutzte, aus der »Englischen Typografie« übernommen. Denn bis Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts verstand man im dspr. Raum unter dem Begriff »Mediaeval« nahezu ausschließlich Schriften gotischen Ursprungs, beispielsweise eine Textura oder verwirrender Weise unter »Halbmediäval« eine Vorklassizistische Antiqua.
Im 19. Jahrhundert wurden – aufgrund veränderter Schreib-, Publikations- und Lesegewohnheiten im Zuge der Industrialisierung – aus den Mediävalziffern die Majuskelziffern bzw. selten auch die Kapitälchenziffern im Zweiliniensystem entwickelt.

Mediävalziffern gibt es bei Antiqua-Schriften als Proportionalziffern und Tabellenziffern sowie in Form von Bruchziffern. 2) 3)
Thesen zu Mediävalziffern (Minuskelziffern)
- Mediävalziffern eignen sich nur bedingt für den Mathematischen Formelsatz sowie den Tabellensatz, da sie aufgrund ihrer variierenden Oberlängen und Unterlängen eine zu unruhige, flatterhafte Linie für das Lesen (s.a. Fixationen) einer Zahlenreihe bieten. Majuskelziffern – insbesondere dicktengleiche Majuskelziffern (Tabellenziffern) – sind dafür besser geeignet.
- Mediävalziffern sind innerhalb eines Glatten Satzes ein Qualitätsmerkmal. Sie fügen sich aufgrund ihrer Ober- und Unterlängen harmonischer als Majuskelziffern in einen fortlaufenden Text ein.
- Bei Verlags-, Zeitungs- und Buchschriften bzw. im Mengensatz (Werksatz) sollten im geschlossenen Schriftsatz grundsätzlich Mediävalziffern verwendet werden, da diese sich aufgrund ihrer wechselnden Ober- und Unterlängen ästhetischer in einen Fließtext einfügen und somit den Leserhythmus nicht unnötig stören. Majuskelziffern sind weniger dafür geeignet, da sie bei längeren Zahlenkombinationen optische »Blöcke« bilden.
- Bei buchähnlichen Publikationen, z.B. Geschäftsberichten oder Produktkatalogen, sollten sowohl Majuskelziffern als auch Minuskelziffern verwendet werden, wobei die Mediävalziffern in den Fließtexten, die Majuskelziffern (bestenfalls als Tabellenziffern) in Zahlentabellen bzw. Zahlenreihen verwendet werden.
- Im Antiqua-Schriftsatz mit Kapitälchen werden aus ästhetischen Gründen traditionsgemäß keine Majuskelziffern, sondern Mediävalziffern verwendet.
- Bei primären Systemschriften sind Majuskelziffern die Regel. Bei sekundären Systemschriften gilt das gleiche, wobei es hier einige wenige Ausnahmen gibt, beispielsweise die »Georgia« von Matthew Carter, die Mediävalziffern enthält.
- Wer in HTML-Fließtexten Mediävalziffern verwenden möchte, muss in der Regel Webfonts einbinden.
- Zahlen in Form von Mediävalziffern sollten wie Majuskelsatz immer leicht spationiert werden.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Quelle: Renner, Paul: Die Kunst der Typografie, Verlag Frenzel & Engelbrecher, Berlin 1940, Seite 256. |
|---|---|
| ↑2 | Tipp: Auch Bruchziffern unterscheidet man zwischen Mediäval- und Majuskelbruchziffern. Ihre Form sollte immer mit der im Fließtext verwendeten Zifferform korrespondieren. |
| ↑3 | Literaturempfehlung: Menninger, Karl: Zahlwort und Ziffer. Eine Kulturgeschichte der Zahl. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1979. |