Austreiben
»Austreiben« ist ein typografischer Fachausdruck aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz dspr. Schriftsetzer und Drucker aus der Periode des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. aus einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung), Holz (z.B. aus Birnenholz) oder Kunststoff (z.B. aus Kunstharz) für die Erweiterung von Wortzwischenräumen (WZ), insbesondere im Blocksatz, um Fehler im Umbruch, beispielsweise »Witwen«, früher auch als »Hurenkinder« bezeichnet, und »Schusterjungen« zu vermeiden; horizontale Erweiterung von Wortabständen innerhalb einer oder mehrere zusammenhängender Zeilen innerhalb einer Kolumne; alternative Bezeichnung »Ausbringen«.
Das Pedant zu Austreiben ist das »Einbringen«. Das mikrotypografische Ausgleichen von Wortzwischenräumen, um eine harmonische Satzbreite, insbesondere im Blocksatz, zu erzielen, wird als »Ausschließen« bezeichnet.

Das Austreiben bzw. Ausbringen im typografischen Schriftsatz beschreibt die Intention, die volle Breite der Zeilen innerhalb einer Kolumne zu nutzen, um durch mehr oder weniger vergrößerte Leerräume (Wortabstände), Teile eines Wortes (bei Silbentrennung), ein ganzes Wort oder gar mehrere Worte in die nächstfolgende Zeile zu »verschieben«. In der Regel funktioniert dieser Eingriff nur beim Austreiben mehrerer zusammenhängender Zeilen.
Die Problematik beim Austreiben eines Blocksatzes besteht darin, dass die Wortzwischenräume im Wesentlichen nicht zu groß und ungleich werden oder gar Gießbäche oder Fehler im Umbruch entstehen. 1) In der Mikrotypografie existieren diesbezüglich Regeln, beispielsweise Umbruchregeln. 2) 3)
Der Begriff »Austreiben« hat seinen Ursprung in der Ära des materiellen Schriftsatzes, als der Satz aus einzelnen Drucktypen durch Schriftsetzer zusammengestellt wurde. Beim Handsatz war es notwendig, insbesondere im Blocksatz, den Wortzwischenraum je nach Schrift und Zurichtung mit unterschiedlich großem Blindmaterial so zu justieren, damit eine gleichmäßige Zeilenlänge entsteht. Dieser Prozess erfordert präzise typografische Fertigkeiten und viel Erfahrung.

In der Ära des Bleisatzes war das Austreiben eine notwendige manuelle Technik. Mit dem Übergang zum Fotosatz bzw. digitalen Schriftsatz hat sich die Methodik weiterentwickelt, bleibt jedoch ein entscheidender Bestandteil des typografischen Feinsatzes. Moderne Desktop Publishing Software (DTP), z.B. Affinity Publisher ® von Serif ®, InDesign ® von Adobe ® oder QuarkXpress ® von Quark ®, ermöglichen heute eine präzise Kontrolle über Wortzwischenräume, wodurch der Austreibungsprozess effizienter gestaltet werden kann.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Anmerkung: Der Begriff »Austreiben« wird leider auch immer wieder in Verbindung mit der vertikalen Erweiterung des Zeilenabstands (ZAB) gebracht. Das ist inkorrekt und wäre – salopp gesagt – ziemlich dilettantisch. Denn Register, Buchsatzspiegel und Gestaltungsraster werden vor dem eigentlichen Schriftsatz entworfen und fixiert, nicht während des Satzes. |
|---|---|
| ↑2 | Literaturempfehlung: Bosshard, Hans Rudolf: Technische Grundlagen zur Satzherstellung, Bildungsverband Schweizer Typografen, Bern, 1980, ISBN: 3855840105 und 3-85584-010-5. |
| ↑3 | Literaturempfehlung: De Jong, Ralf und Friedrich Forssman: Detailtypografie, Verlag Hermann Schmidt, Mainz, ISBN 978-3-87439-642-4. |