Hauptschriftgruppe und Schriftuntergruppe (Schriftart), die im Sinne der typografischen Schriftklassifikation zur Schriftgattung der Antiqua-Schriften gehört. Rundbogige Screen- und Druckschrift römischen Ursprungs mit betonten, teils blockartigen Serifen; auch als »Serifenbetonte Antiqua« bzw. reine Egyptiennes als »Serifenbetonte Linear-Antiqua«, im englischsprachigen Raum als »Slab Serif« bezeichnet.
Egyptienne Schriften entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England. Sie wurden im Zuge der rasanten Industrialisierung und des progressiven ökonomischen Liberalismus als Anzeigen- und Reklameschriften aus der Klassizistischen Antiqua entwickelt. Der früheste dieser Schriftschnitte mit den charakteristischen, monumental und plakativ wirkenden Serifen hieß noch »Antique«. Er stammte aus der Hand des Londoner Schriftschneiders Vincent Figgins (1766–1844), der sich von den klassizistischen Druckschrifttypen Firmin Didots (1764–1836) inspirieren lies. 1817 wurde diese erste Serifenbetonte Linear Antiqua im Supplement zu einem Schriftmusterbuch von 1815 als Akzidenzschrift publiziert. In den folgenden Jahren entwarf Figgins zahlreiche Varianten zu dieser Aufmerksamkeit erregenden und darum höchst werbewirksamen Schrift, mit denen er dann ganz im Trend der Zeit so assoziative Bezeichnungen wie »Ramses« oder »Giza« verknüpfte.

Der Begriff »Egyptienne« (frz. die Ägypterin) wurde erstmals von Thomas Curson Hansard (1776–1833) dem »schlagwörtlich« legendären Drucker (»TC«) der britischen Parlamentsdebatten im Jahre 1825 in seiner »Typografia« verwendet und als »typografical monstrosity« interpretiert. Der Name ist vermutlich ein Resultat der zu dieser Zeit grassierenden »Ägyptomania«, einer Modetendenz, die in Paris nach Napoleons »erfolgreichem« Ägypten-(Raub)feldzug aufkam, den Empire-Stil manieristisch infizierte und mit Jean-François Champollions (1790–1832) epochaler Entzifferung der Hieroglyphen den klassizistischen Zeitgeist und die Bildung nachhaltig prägte. Über London breitete sich diese Strömung rasch auf ganz Westeuropa und die USA aus. Sie gipfelte gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der geradezu bizarren, rein kommerziell motivierten Typografie der Verlagshäuser und Druckereien, deren typografische Kultur sich mehrheitlich am kitschig banalisierten Kunsthandwerk aus Historismus und Jugendstil orientierte.
Eine Revitalisierung der Egyptomania im 20. Jahrhundert löste die Entdeckung des Grabes des Pharaos Tutanchamun durch den Britischen Archäologen Howard Carter (1874–1939) am 4. November 1922 in Luxor aus. Unzählige neue kunstgewerbliche Egyptienne Schriften in Europa und den USA entstanden. Dieser typografischen Unkultur trat eine junge Generation von deutschen und schweizer Typografen entgegen: Sie propagierten eine »Moderne (Neue) Typografie«, die »Grotesk Typografie«.
Schriften im Stile der Egyptienne werden außerhalb des Akzidenzsatzes ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Schreibmaschinenschriften (Typewriter) und in der Typografie ab Mitte des 20. Jahrhundert als Zeitungsschriften (Zeitungsantiquas) verwendet. 1)
Neben modischen und wirkungsästhetischen Aspekten war vor allem ihre Stabilität auf den oftmals sehr minderwertigen Zeitungs- und Briefpapieren ein Grund für ihren Erfolg. Bei der Konstruktion von mechanischen Schreibmaschinen 2) war insbesondere die dicktengleiche Buchstabenbreite, also die lineare, tektonisch aufgebaute Schrifttype der Egyptienne technisch vorteilhaft. 3) 4)
Zu der Schriftart (Untergruppe) Egyptienne zählen die »reinen« Egyptienne Schriften (Serifenbetonte Linear Antiquas mit optisch gleichen Strichstärkenkontrasten und eckigen Serifenübergängen), die Clarendon Schriften 5) (Serifenbetonte Antiquas mit Strichtärkenkontrasten und runden Serifenübergängen) sowie die sogenannte Zeitungsegyptienne, eine serifenbetonte Antiqua-Hybridtype, die speziell als Textschrift für den Zeitungsrotationsdruck geschaffen wurde.
Traditionell werden auch Display-Schriften bzw. Zierschriften mit sehr stark ausgeprägten Serifen im sogenannten »Wild West Style« (Ultra Slab Serif), die auch als »Italienne« oder »Toscanienne« bezeichnet werden und serifenbetonte »Schreibmaschinenschriften« bzw. deren digitale Imitate zu der Untergruppe der Egyptiennes gezählt.
Im Segment der Lesetypografie sind reine Egyptiennes, Italiennes und Schreibmaschinenschriften als Grundschrift für längere Textpassagen nur bedingt bis nicht geeignet. Zeitungsegyptiennes – auch als Zeitungsantiquas bezeichnet – und einige Egyptienne Varianten mit ihren hybriden Letternarchitekturen bilden hier eine Ausnahme. Sie können allerdings – je nach Interpretationsweise – auch als Französische Renaissance-Antiquas oder Vorklassizistische Antiquas klassifiziert werden.
Egyptiennes im Stile einer Italienne (Westernschrift) und digitalisierte Schreibmaschinenschriften (Typewriter) zählen heute in der Regel zu den Display-Schriften bzw. Zierschriften.
Die Schriftklassifikation ordnet Egyptienne Schriften in folgende Schriftuntergruppen:
Egyptienne
Beschreibung: Serifenbetonte Linear Antiqua mit optisch gleichen Strichstärkenkontrasten und eckigen Serifenübergängen
Dachansätze: Gerade
Minuskeloberlängen: Enden bei der H-Linie
Achse der Minuskel e: Waagrechter Innenbalken
Optische Achse der Rundformen: Senkrecht
Serifenübergänge: Eckig
Serifenseitenkante: Gerade
Serifenunterkante: Steht gerade auf der Grundlinie
Stichstärkenkontrast Balken/Querbalken: Optisch gleich (linear)
Sonstiges: Alle Senkrechten, Rundungen und Serifen haben in der Regel optisch die gleichen Strichstärken. Kantige Serifenform. Wirkt in der Gesamtanmutung sehr konstruiert
Vertreter dieser Schriftart
Schrift | Schriftgestalter | Original Font Foundry | Jahr |
---|---|---|---|
Beton | Jost, Heinrich | Bauersche Gießerei | 1936 |
Boton | Boton, Albert | Berthold | 1986 |
Cairo | Intertype | 1931 | |
City | Trump, Georg | Berthold | 1930 |
Geometric Slabserif 703 | Wolf, Rudolf | D. Stempel | 1929 |
Glypha | Frutiger, Adrian | Linotype | 1977 |
Karnak | Middleton, Robert Hunter | Ludlow Typograf | 1931 |
Lubalin Graph | Lubalin, Herb | ITC | 1974 |
Memphis | Wolf, Rudolf | D. Stempel | 1929 |
Officina Serif | Spiekermann, Erik Van Rossum, Just | ITC | 1990 |
Rockwell | Pierpont, Frank Hinman | Monotype | 1934 |
Scarab | Stephenson Blake | 1934 | |
Serifa | Frutiger, Adrian | Bauersche Gießerei | 1967 |
Clarendon
Beschreibung: Serifenbetonte Antiqua mit unterschiedlichen Strichstärkenkontrasten und runden Serifenübergängen
Dachansätze: Gerade
Minuskeloberlängen: Enden bei der H-Linie
Achse der Minuskel e: Waagrechter Innenbalken
Optische Achse der Rundformen: Senkrecht
Serifenübergänge: Rund
Serifenseitenkante: Gerade
Serifenunterkante: Steht gerade auf der Grundlinie
Stichstärkenkontrast Balken/Querbalken: Leicht bis mittelstark
Vertreter dieser Schriftart
Schrift | Schriftgestalter | Original Font Foundry | Jahr |
---|---|---|---|
Amasis | Carpenter, Ron | Monotype | 1990 |
Clarendon | Fox, Benjamin | Fann Street | 1845 |
Zeitungsegyptienne
Beschreibung: Serifenbetonte Zeitungsantiqua mit unterschiedlichen Strichstärkenkontrasten und runden oder eckigen Serifenübergängen
Dachansätze: Gerade oder schräg
Minuskeloberlängen: Enden bei H-Linie oder k-Linie
Achse der Minuskel e: Waagrechter Innenbalken
Optische Achse der Rundformen: Senkrecht
Serifenübergänge: Eckig oder rund
Serifenseitenkante: Gerade oder abgerundet
Serifenunterkante: Steht gerade auf der Grundlinie
Stichstärkenkontrast Balken/Querbalken: Vorhanden, orientiert sich oft an Vorklassizistischer Antiqua
Vertreter dieser Schriftart
Schrift | Schriftgestalter | Original Font Foundry | Jahr |
---|---|---|---|
Candida | Erbar, Jakob | Ludwig & Mayer | 1936 |
Exelsior | Griffith, Chauncey H. | Linotype | 1931 |
Joanna | Gill, Eric | Hague and Gill | 1930 |
LinoLetter | Gürtler, André Haus, Reinhard | Linotype | 1992 |
Lucida Serif | Bigelow, Charles Holmes, Kris | Bigelow & Holmes | 1985 |
Melior | Zapf, Hermann D. | D. Stempel | 1952 |
Scala | Majoor, Martin | FontFont | 1991 |
Italienne
Beschreibung: Serifenbetonte Zierschrift im Wild West Style
Dachansätze: Gerade
Minuskeloberlängen: Enden bei der H-Linie
Achse der Minuskel e: Waagrechter Innenbalken
Optische Achse der Rundformen: Senkrecht
Serifenübergänge: Eckig
Serifenseitenkante: Gerade
Serifenunterkante: Steht gerade auf der Grundlinie oder bei scriptographischen Varianten geschrägt
Stichstärkenkontrast Balken/Querbalken zu den Serifen: Sehr stark bis übertrieben
Vertreter dieser Schriftart
Schrift | Schriftgestalter | Original Font Foundry | Jahr |
---|---|---|---|
Figaro | Monotype Design Studio | Monotype | 1940 |
Old Towne No 536 | ATF | ||
Pro Arte | Miedinger, Max | Haas'sche Schriftgiesserei | 1954 |
Westside | Frutiger, Adrian | Linotype | 1989 |
Schreibmaschine
Beschreibung: Typewriter
Dachansätze: Gerade oder gekehlt
Minuskeloberlängen: Enden bei der H-Linie
Achse der Minuskel e: Waagrechter Innenbalken
Optische Achse der Rundformen: Senkrecht
Serifenübergänge: Rund oder eckig
Serifenseitenkante: Bogenform oder eckig
Serifenunterkante: Steht gerade auf der Grundlinie oder ist leicht bis stark gekehlt
Stichstärkenkontrast Balken/Querbalken: Optisch gleich
Vertreter dieser Schriftart
Schrift | Schriftgestalter | Original Font Foundry | Jahr |
---|---|---|---|
American Typewriter | Kaden, Joel Stan, Tony | ITC | 1974 |
Courier New | Frutiger, Adrian Kettler, Howard | Microsoft | 2000 |
Courier | Kettler, Howard | IBM | 1955 |
Prestige Elite | Smith, Clayton | IBM | 1953 |
Egyptiennevarianten
Dazu zählen hybride Antiqua Schriften mit stark betonten Serifen, die nicht eindeutig zu den reinen Egyptiennes, Zeitungsantiquas, Italiennes oder Schreibmaschinenschriften eingeordnet werden können.
Vertreter dieser Schriftart
Schrift | Schriftgestalter | Original Font Foundry | Jahr |
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Caecilia PMN | Noordzij, Peter Matthias | Linotype | 1991 |
Dispatch | Highsmith, Cyrus | Font Bureau | 1999 |
Foro | Hofrichter, Dieter | Hoftype | 2012 |
Generell | Mischler, Michael | Gestalten | 2007 |
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:
↑1 | Anmerkung: Da die Egyptienne in der deutschen Verlags- und Buchtypografie keine erwähnenswerte Rolle spielte, ist sie in der deutschen typografischen Literatur nicht oder nur marginal dokumentiert. |
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↑2 | Anmerkung: Durch die Erfindung der Schreibmaschine kamen erstmals Frauen in die »Typografie«. Männer weigerten sich nämlich, mit den »neuen Maschinen« zu schreiben. Der Beruf der Sekretärin war geboren. |
↑3 | Literaturempfehlung: McLean, Ruari: An examination of Egyptians, Shenval Press, London 1946. |
↑4 | Literaturempfehlung: Chi-hang Tam, Keith: The revival of slab-serif typefaces in the twentieth century, University of Reading, United Kingdom, May 2002. |
↑5 | Anmerkung: Semantisch rührt die Bezeichnung »Clarendon« von »Earl of Clarendon«, einem erblichen britischen Adelstitel. |