Schriftlinien
In der Typografie existieren unterschiedliche Schriftliniensysteme, um lateinische Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen zu gestalten und im digitalen wie auch im materiellen Schriftsatz, beispielsweise im Desktop Publishing (DTP) oder im Bleisatz, anzuwenden.
Schriftlinien ordnen die vertikale Typometrie der Buchstaben bzw. Schriftzeichen eines lateinischen Alphabets in Majuskelhöhen, Oberlängen, Mittellängen und Unterlängen und stimmen diese auf alle Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen eines Schriftschnitts, einer Schriftfamilie oder einer Schriftsippe ab. Die Evaluierung von Schriftlinien bzw. Schriftliniensystemen gehört in den Bereich der Schriftgestaltung (Type Design) und der Mikrotypografie.

In der Schriftgestaltung und in der angewandten Typografie werden unterschiedliche rechnerische und optische Schriftlinien bzw. Schriftliniensysteme mit zwei, drei und vier Hauptschriftlinien sowie deren Majuskelakzent-, k- und Überhanglinien unterschieden. Schriftlinien haben sich aus den klassischen Grundformen der Epigraphik – Quadrat, Dreieck und Kreis – entwickelt.
Die ursprünglich klare obere und untere Begrenzung des Schriftbildes bei der Capitalis monumentalis, Capitalis quadrata, der Rustica und der Unziale im Zweilinienaufbau (Grundlinie bis zur H-Linie) wurde mit der Halbunziale zunehmend durchbrochen, bis das Schriftbild schließlich mit der Karolingischen Minuskel über die Zweilinienbegrenzung hinauswuchs. Eine Tendenz dazu ist bereits in der römischen älteren Cursiva, der Versalkursiven und in geringem Maße auch bei der Rustica festzustellen. In der Karolingischen Minuskel findet diese Entwicklung ihren Abschluss. Die Buchstaben stehen nun innerhalb von vier Linien (Hauptschriftlinien) und gliedern sich in Majuskelhöhe (Versalhöhe), Oberlängen, Mittellängen und Unterlängen. Diese vertikale Gliederung von Buchstaben mittels Schriftlinien wurde von der Prototypografie aus der Kalligraphie übernommen.
Das konsequente Vierliniensystem bei Antiqua-Druckschriften wurde bereits mit der Venezianischen Renaissance-Antiqua durch die Prototypografen Johannes (o.A.–um 1469/1470) und Wendelin (o.A.–1477) von Speyer (Giovanni und Vendelino da Spira) sowie Nicolas Jenson eingeführt, die die »Sublacensische Antiqua« der Prototypografen Arnold Pannartz (o.A.–um 1476) und Conrad Sweynheym (o.A.–um 1474/1477) weiterentwickelten und kultivierten. Damit wurde es zum Standard in der Schriftgestaltung.
Mit der vorklassizistischen Antiqua verkürzen sich die Dachansätze der Minuskeloberlängen, die nun an der Majuskelhöhe (Versalhöhe) enden. Deshalb existiert heute neben der H-Linie eine weitere Schriftlinie, die k-Linie, die ausschließlich für die Minuskeloberlängen der Venezianischen und Französischen Renaissance-Antiquas – bzw. für Schriften, die aus diesen Schriftgruppen entwickelt wurden – vorgesehen ist. 1)
Im Zweiliniensystem werden beispielsweise Majuskelalphabete oder Majuskelziffern entworfen, im Dreiliniensystem Kapitälchen und im Vierliniensystem gemischte Alphabete und Mediävalziffern.
Schriftlinienproportionen, also die Abstände der Schriftlinien zueinander, dienen der Konstruktion von Buchstaben und sind ein wesentliches Schriftklassifikationsmerkmal; sie sind bei jeder Schrift unterschiedlich. Schriftlinienproportionen bestimmen nicht nur die Ästhetik einer Schrift, sondern auch ihre Lesbarkeit. 2)
Schriftlinien in der angewandten Typografie
Die angewandte Typografie unterscheidet vier Hauptschriftlinien und zwei weitere Schriftlinien für Dachansätze und Majuskelakzente, wobei die k-Linie ausschließlich in der Schriftuntergruppe der Renaissance-Antiquas – bzw. bei Schriften, die aus dieser entwickelt wurden – Verwendung findet.
Schriftlinien in der angewandten Typografie (von oben nach unten):
Á-Linie (Akzentlinie für Majuskeln) k-Linie (Minuskeloberlänge nur bei Renaissance-Antiquas) H-Linie (Majuskelhöhe bzw. Versalhöhe) x-Linie (x-Höhe) Grundlinie (Schriftlinie) p-Linie (Unterlänge)


Schriftlinien sind insbesondere bei der mikrotypografischen Interpretation von Schriften und bei der Kalibrierung im Bereich der Schriftmischung von großer Bedeutung.
Schriftlinien in der Schriftgestaltung
Die Schriftgestaltung (Type Design) differenziert neben den vier Hauptschriftlinien, der Majuskelakzent- und der k-Linie, zusätzlich vier Überhanglinien, um die Letterarchitektur optisch auszugleichen.
Rechnerische und optische Schriftlinien in der Schriftgestaltung (von oben nach unten):
Á-Linie (Akzentlinie für Majuskeln) k-Linie (Minuskeloberlänge bei Renaissance-Antiquas) Großer Überhang H-Linie (Majuskelhöhe bzw. Versalhöhe) Kleiner Überhang x-Linie (Minuskelhöhe) Grundline (Schriftlinie) Unterer Überhang p-Linie (Unterlänge) Tiefer Überhang

Schriftlinien beim Messen von Schriftgraden
Schriftlinien dienen insbesondere dazu, den Schriftgrad einer Schrift zu messen. Ausführliche Informationen finden Sie unter Schriftgrad.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Anmerkung: Ist die Minuskelhöhe sichtbar größer als die Majuskelhöhe, dann handelt es sich in der Regel immer um eine Venezianische oder Französische Renaissance Antiqua, bzw. um eine Schrift, die aus diesen Schriftnebengruppen entwickelt wurde. |
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| ↑2 | Literaturempfehlung: Cheng, Karen: Designing Type, Anatomie der Buchstaben, Verlag Hermann Schmidt Mainz, ISBN 3-87439-689-4. |