Initiale
Terminus aus der Paläografie, Paläotypie, Kalligrafie und Typografie für einen ausgeschmückten, verzierten oder vergrößerten Buchstaben, meist in der Form einer Majuskel (Großbuchstabe), der als Schmuckbuchstabe bzw. Ziermajuskel am Anfang eines Buches, eines Buchkapitels, einer Kolumne oder eines Absatzes steht. Auch als »Initial« bezeichnet. Etymologisch von lat. »initialis« für »anfänglich, am Anfang stehend« zu »initium« für »Anfang«. Pl. Initialen.
Initialen dienen als Stilmittel zur Strukturierung und Gliederung von Kapiteln, Kolumnen und Absätzen in Handschriften und gedruckten Büchern. Zudem erfüllen sie eine repräsentative Funktion und tragen zur ästhetischen Gestaltung eines Werkes bei. Sie entwickelten sich im späten 7. Jahrhundert aus der Buchstabenmalerei in Handschriften und insbesondere aus dem Versal 1) des 9. Jahrhunderts. 2)
Eine Initiale kann sich über mehrere Zeilen erstrecken, ihr Schriftgrad kann um ein Vielfaches größer sein als der der Grundschrift. In mittelalterlichen Handschriften, beispielsweise im Dagulf-Psalter (ca. 783–795) der Aachener Palastschule, der Hofschule Karls des Großen (747–814), besaßen Initialen oft sogar die Größe einer Seite (Initialzierseite), welche mit kostbaren Materialien (z.B. Gold) veredelt wurden. Diese besondere Art des Buchschmucks wird in der Kalligrafie und der Paläografie auch als »Initalkunst« bezeichnet. 3)

Ab 1450 adaptierten die Mainzer Prototypografen Johannes Gutenberg (um 1400–1468) und Peter Schöffer (um 1425/1430–1502/1503) die kalligrafische Initiale und Lombarde der Spätgotik für die Typografie. In Inkunabeln konnten die reich ornamentierten Initialen nur händisch von Kalligrafen, Rubrikatoren 4) und Illuminatoren »ausgezeichnet« 5) werden.

Deutschland verfügte bis in die 1940er Jahre aufgrund seiner jahrhundertealten Kultur der Gebrochenen Schriften über eine reichhaltige Tradition im Entwurf und Gebrauch von Frakturinitialen. Bereits 1525 erschien Albrecht Dürers (1471–1528) »Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt in Linien, ebenen und gantzen corporen, durch Albrecht Dürer zusammen getzogen und zu nutz allen kunstliebhabenden mit zugehörigen figuren in truck gebracht im jar M.D.XXV«. 6) Den dritten Teil seiner typometrischen Summa widmete der Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker überwiegend der Konstruktion von Initialmajuskeln der erstmals 1517 in Augsburg gedruckten »fractura germanica« (siehe Fraktur) des Augsburger Kalligrafen und Benediktinerpaters Leonhard Wagner (1453–1522). 7) 8)

Bis ins 20. Jahrhundert gehörte es zum Standardrepertoire eines Schriftgestalters, Frakturmajuskeln kunstvoll mit Elefantenrüsseln zu verzieren.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren Initialen insbesondere in Akzidenzdrucksachen beliebt. Viele Verlagshäuser und Druckereien brachten eine Vielzahl dekorativer Initialen hervor, oft beeinflusst von Historismus und Jugendstil. Heute werden Initialen in der Buchtypografie meist sparsam und unverziert eingesetzt.

Initialalphabete und Einzelinitialen können illustriert, verziert, kassettiert, ein- und mehrfarbig sein oder aus Imitationsschriften bestehen. 9)
Vergrößerte, unverzierte Majuskeln, die neue Textabschnitte markieren, können heute über die meisten DTP Desktop Publishing Softwareprogramme, z.B. Affinity Publisher® von Serif®, InDesign® von Adobe® oder QuarkXpress® von Quark®, aus den bereits vorhandenen bzw. verwendeten Fonts generiert werden. Verzierte Initialen werden von Font Foundries als OpenType Fonts, als Features von OpenType Fonts oder als spezielle Initialalphabete in den unterschiedlichsten Stilrichtungen kostenfrei und kostenpflichtig über das Internet angeboten.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Anmerkung: In der Paläografie bezeichnet der Begriff Versal einen hervorgehobenen Großbuchstaben, der häufig an den Anfängen von Verszeilen oder als Initiale in Manuskripten erscheint. Die typografische Hervorhebung von Versanfängen durch Versalien wurde insbesondere in mittelalterlichen Handschriften üblich. Der Begriff Vers stammt aus dem Lateinischen (versus) und bedeutet ursprünglich »Zeile« oder »Wendung«, in Anlehnung an das Umwenden des Pfluges am Zeilenende. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte in der Typografie der Begriff Majuskelhöhe anstelle von Versalhöhe verwendet werden, da Letzterer funktional eine besondere Form des Großbuchstabens beschreibt, während Ersterer sich allgemein auf die Höhe der Majuskeln bezieht. |
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| ↑2 | Literaturempfehlung: Alexander, J.J.G.: Initialen aus großen Handschriften, München 1978, Prestel Verlag GmbH & Co., ISBN-10: 3791304402 und ISBN-13: 978-3791304403. |
| ↑3 | Bibliotheksempfehlung: Deutschlands umfangreichste Wiegendruck-Sammlung (16.785 Exemplare bei 9.573 Titeln): Bayerische Staatsbibliothek, Ludwigstraße 16, 80539 München, https://www.bsb-muenchen.de. |
| ↑4 | Anmerkung: »Rubrikator« bedeutet »Rotmacher«. Er zeichnete nach dem Schreiben des Textes bzw. nach dem Drucken z.B. die Überschriften, Initialen, Lombarden, Buchstabenverzierungen oder Zeilenfüller – meist in rötlicher Farbe – händisch aus. Buchstaben, die vom Rubrikator ausgezeichnet werden sollten, wurden vom Schreiber, Kopisten oder Drucker mit »Repräsentanten« (Platzhalter) versehen. |
| ↑5 | Anmerkung: Daher rühren die auch heute noch verwendeten typografischen Begriffe »Auszeichnung«, »Auszeichnungsschrift« oder »Farbauszeichnung«. |
| ↑6 | Literaturempfehlung: Dürer, Albrecht: Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt in Linien, ebenen und gantzen corporen, durch Albrecht Dürer zusammen getzogen und zu nutz allen kunstliebhabenden mit zugehörigen figuren in truck gebracht im jar M.D.XXV, Nürnberg. SLUB Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, online verfügbar unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/17139/1/ (13.2.2025). |
| ↑7 | Bibliotheksempfehlung: SLUB Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Zellescher Weg 18, 01069 Dresden, www.slub-dresden.de. |
| ↑8 | Bibliotheksempfehlung: Die umfangreichste Wiegendruck-Sammlung der Welt mit über 12.500 Inkunabeln befindet sich in der British Library, 96 Euston Road, London NW1 2DB, Vereinigtes Königreich, https://www.bl.uk. |
| ↑9 | Literaturempfehlung: De Jong, Ralf und Friedrich Forssman: Detailtypografie, Verlag Hermann Schmidt, Mainz, ISBN 978-3-87439-642-4. |