Kolumnentitel
»Kolumnentitel« ist ein typografischer Fachausdruck aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz der dspr. Typografie für eine Pagina (Seitenzahl) ohne und mit beigefügtem Text oberhalb, unterhalb oder seitlich einer Kolumne (Satzspalte) bzw. innerhalb eines Gestaltungsrasters bzw. bei klassischen Hand- und Tischbüchern, außerhalb eines Satzspiegels.
In der klassischen Buchgestaltung unterscheidet man traditionell zwischen »Toten Kolumnentitel« (solitär stehende Pagina) und einem »Lebenden Kolumnentitel« (Pagina mit beigefügtem Text).
In der multimedialen Typografie – Typografie besteht heute nicht mehr nur aus Buch- und Zeitungstypografie – kann man, beispielsweise im Editorial Design, einen Kolumnentitel auch ohne Pagina als Kolumnentitel bezeichnen (siehe unten).
Kolumnentitel wurden bereits vom Mainzer Prototypografen Johannes Gutenberg (um 1400–1468) in seiner 42-zeiligen Gutenberg-Bibel verwendet. Gutenberg hatte die Methode, oberhalb von Kolumnen einen (Seiten)Titel hinzuzufügen, aus der Kalligraphie übernommen, wo sie bereits weit vor Erfindung des Buchdrucks zum Standardrepertoire von Kalligraphen und Kopisten gehörte. In der Inkunabelzeit (1440–1500) wurde diese Aufgabe oft auch an Rubrikatoren 1) delegiert.

Kolumnentitel dienen dem Gliedern und dem Ordnen einer Publikation. Sie werden insbesondere bei Literatur verwendet, die selektierendes und konsultierendes Lesen 2) erfordert, beispielsweise Geschäftsberichte, wissenschaftliche Abhandlungen, juristische Texte, komplexe Verzeichnisse oder Schul- und Lehrbücher.
Schriftstile, Schriftgrade, Schriftsatzarten sowie Satzausrichtungen für Kolumnentiteln unterliegen keinen bestimmten typografischen Regularien. 3) 4) Der Stand eines Kolumnentitels im Faksimile bzw. Layout und die Wahl einer Schriftstilvariante gehören in das Segment der Makrotypografie, der konkrete Schriftschnitt und dessen Zurichtung im Feinsatz in die Mikrotypografie. Bei Schriftmischungen werden tote und lebende Kolumnentitel in einer semantisch-typografischen Auszeichnungsstruktur separat erfasst.
Kolumnentitel korrespondieren mit dem Inhaltsverzeichnis einer Publikation bzw. auch mit den Lesezeichen (Verknüpfungen) interaktiver Adobe® PDFs (Portable Document Format).
Buchgestaltung
Toter Kolumnentitel
Unter einem toten Kolumnentitel versteht die traditionelle Buchtypografie eine solitär stehende Pagina eines Werkes (Buch), also eine durchgehende Seitenzahl (Seitennummerierung) eines Buches, die außerhalb des Satzspiegels steht. Sie dient dem Auffinden einer bestimmten Seite.
Der tote Kolumnentitel wurde im gewerbespezifischen Sprachschatz dspr. Schriftsetzer und Drucker in der Periode des materiellen Schriftsatzes mit physischen Drucktypen aus Metall (z.B. aus einer Blei-Zinn-Antimon-Kupfer-Legierung) auch als »Kolumnenziffer« bezeichnet.

Gerade »Tote Kolumnentitel« (z.B. die Paginas 12, 14, 16 …) stehen auf der linken Buchseite, die als »Verso« oder »Widerdruck« bezeichnet wird, ungerade »Tote Kolumnentitel« (z.B. die Seitenzahlen 11, 13, 15 …) auf der rechten Buchseite, die »Recto« oder »Schöndruck« genannt wird.

In der der klassischen Buchtypografie wird immer erst nach der Titelei, explizit nach einem Inhaltsverzeichnis paginiert, wobei der tote Kolumnentitel aber bereits rechnerisch ab dem Schmutztitel (Recto, Seite 1) gezählt wird.
Der tote Kolumnentitel befindet sich bei Handbüchern (z.B. Taschenbuch) in der Regel im Kopfsteg oder im Fußsteg, bei großen Tischbüchern (z.B. großformatiger Bildband) ggf. auch im Außensteg, sehr selten im Bundsteg. Tote Kolumnentitel können sowohl auf Verso linksbündig und auf Recto rechtsbündig an der äußeren Satzkante ausgerichtet sein, als auch mit Einzügen oder im Axialsatz gesetzt werden. Verbindliche Vorgaben existieren dafür nicht.
Lebender Kolumnentitel
Der lebende Kolumnentitel ist eine Pagina mit beigefügtem Text, der auf den nachfolgenden Seiten seinen Inhalt ändern kann. Er kann beispielsweise aus Hauptüberschriften, Kapitelüberschriften, Untertiteln, Rubrikentiteln oder Lemmata (Stichwort) bestehen. In der prädigitalen typografischen Lehrliteratur, z.B. in der des deutschen Typografen Paul Renner (1878–1956), wird der lebende Kolumnentitel auch als »Seitentitel« bezeichnet. 5)
In der traditionellen Buchgestaltung trägt die linke Buchseite (Verso) meist den übergeordneten Titel und die rechte Seite (Recto) den untergeordneten Titel, wobei in der Regel der rechtsseitige Textinhalt häufiger gewechselt wird. 6)


Laut Lehrmeinung des renommierten Typografen Jan Tschichold (1902–1974) gehört(e) in der traditionellen Buchgestaltung der lebende Kolumnentitel mit Trennlinie zur Kolumne hin zum Satzspiegel eines Buchsatzspiegels, ohne Trennlinie jedoch nicht. 7) Heute, im Zeitalter des DTP Desktop Publishing, dürfte dieser feine (produktionsbedingte) Unterschied obsolet sein.
Corporate Publishing
Mit Einhergehen des mulitmedialen Strukturwandels – das Buch ist heute nur eines von vielen Medien und aus schlichten Satzspiegeln haben sich komplexe Gestaltungsraster entwickelt – werden heute im Grafikdesign, Editorial Design bzw. im Corporate Publishing, z.B. in der Investor Relations bei Geschäftsberichten, lebende Kolumnentitel auch ohne korrespondierende Paginas oder alternativ mit Kapitelzahlen oder -zeichen verwendet, meist in Form von Arabischen Ziffern, Römischen Zahlen, Buchstaben oder Icons (Piktogramme).
Bei großformatigen Publikationen, z.B. bei Tischbüchern oder Geschäftsberichten, können lebende Kolumnentitel auch auf einer Hälfte einer Doppelseite mehrzeilig – sowohl im Kopfsteg wie auch im Fußsteg – getrennt gesetzt werden. Gleiches gilt für Zeitungen, Zeitschriften und Magazine. Gestürzte lebende Kolumnentitel sind ebenfalls möglich.

Priorität hat hier das selektierende und konsultierende Lesen, beispielsweise das schnelle Auffinden oder die klare Zuordnung einer Seite zu einem bestimmten Publikation (z.B. Geschäftsbericht 2017), einem bestimmten Kapitel (z.B. Konzernlagebericht), einem bestimmten Geschäftsjahr (z.B. XXII) oder eines bestimmten Unternehmens (z.B. BMW AG).
Neben Gliederungs- und Ordnungsaspekten dient der Kolumnentitel heute auch zusätzlich als eine Art »Wasserzeichen« (Markierung), um kopierte oder digitalisierte Seiten auch im Nachhinein einer Quelle und einem bestimmten Zusammenhang zuordnen zu können.
© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:[+]
| ↑1 | Anmerkung: Rubrikatoren sind Buchillustratoren, Buchmaler oder speziell geschulte Schreiber, welche in der Inkunabelzeit gedruckte Werke mit farbigen Initialen, Kolumnentiteln, Marginalien etc. versahen. |
|---|---|
| ↑2 | Literaturempfehlung: Forssman, Friedrich und Hans Peter Willberg: Lesetypografie, Verlag Hermann Schmidt, Mainz, ISBN 978–3-87439–800-8. |
| ↑3 | Quelle: Luidl, Philipp: Typografie, Herkunft, Aufbau, Anwendung. Schlütersche Verlagsanstalt und Druckerei, Hannover, 1984, ISBN 3–87706-212–1, Seite 88–89. |
| ↑4 | Anmerkung: Obwohl keine Regeln für das typografische Gestalten von Kolumnentiteln existieren, ist in der gepflegten Englischen Typografie eine Vorliebe für die Nutzung von Konsultationsgrößen oder leicht spationierten Kapitälchen bzw. Majuskeln (Versalsatz) für lebende Kolumnentitel zu erkennen bzw. sie sind international ein Art »Code« für gekonnte Mikrotypografie. |
| ↑5 | Quelle: Renner, Paul: Die Kunst der Typografie, Verlag Frenzel & Engelbrecher, Berlin 1940, Seite 57–60. |
| ↑6 | Quelle: Luidl, Philipp: Typografie, Herkunft, Aufbau, Anwendung. Schlütersche Verlagsanstalt und Druckerei, Hannover, 1984, ISBN 3–87706-212–1, Seite 88–89. |
| ↑7 | Quelle: Tschichold, Jan: Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt des Buches und der Typografie, Birkhäuser Verlag, Seite 68 und 70, ISBN-10: 3764319461 und ISBN-13: 978-3764319465. |